Rache: Degen oder Pistole
Jedem wird einsichtig sein, dass kleinere Vergehen im Leben besser durch "Selbstjustiz" - also ein kleines Rachegeschenk beispielsweise - als durch den Gang vor den Kadi geregelt werden sollten. Bei ersterem ist der Fall durch Rachenahme erledigt, während ein Gerichtsverfahren kostspielig, risikoreich, langwierig und belastend ist, denn bis zum Urteil, das in Monaten erfolgt, kann man gut mit Terminen und Schriftsätzen beschäftigt sein. Das ist die Geschichte häufig nicht wert. Anstatt ein Problem loszuwerden, köchelt es die ganze Zeit weiter, belastet die Psyche und hindert einen an nützlicheren Dingen.
Geregelte Selbstjustiz - Ehre muss her
Hier ein kleiner Blick auf vergangene Epochen und dem Wert der Selbstjustiz bzw. dessen Wandel in der Gesellschaft:
1258 führte Ludwig der Heilige (St. Louis) in Frankreich den Gerichtskampf ein. Im Zweikampf sollen die Streitenden mit gezogener Klinge ihre Konflikte lösen. Zu Ende stand ein Gottesurteil. Ist ja klar, der Gewinner hatte den Herrn auf seiner Seite.
Der Ablauf änderte sich im Laufe der Zeit. Strikte Regeln wurden erlassen, Schiedsrichter und Sekundanten (Helfer wörtlich) kamen hinzu. Es ging vermehrt ums Gewinnen, weniger ums Töten, so dass sich langsam ein "Ehrenduell" entwickelte, in Wirklichkeit Selbstjustiz. Die "Ehre" ist ein tyisch mittelalterliches und feudales Konzept, ein Wert des Adels, der weit ins Bürgertum und insbesondere ins Militär ausstrahlte und noch zu Beginn des 20. Jh. lebendig war. Die Armen duellierten sich nicht - völlig unnnötig - besaßen sie doch eh keine Ehre, die sie hätten verteidigen können, ehrloses Pack, sozusagen. Undenkbar, dass ein Adeliger sich mit jemandem unter seinem Stand duelliert hätte. Nur Waffenträger durften das, also Adel, Militär und Studenten, schließlich im 19. Jh. dann auch das Bürgertum.
Das hatte zwar den König verjagt, sich aber gleich in seine Kaleschen gehockt, seine Köche Restaurants (vorher unbekannt), seine Pralinenhersteller Confiserien eröffnen lassen, seinen Sattler Louis Vuitton feine Täschchen für die Damen machen heißen sowie diverse Privilegien an sich gezogen, darunter das Duellieren. Diese "Ehre" gilt uns heute wenig. Was man darauf geben konnte, hatten die Nazis bzw. die Offizierscliquen demonstriert sowie vor einigen Jahren ein Ministerpräsident in Schleswig-Holstein, Uwe Barschel, welcher der Nation sein "Ehrenwort" gab, was den ehrlosen Lumpen nichts kostete ... bis auf sein Leben. Die Ehre war ansonsten ein Begriff, der aus eher rückständigen Gebieten und Gesellschaften bekannt. In der Sechzigern - z.Zt. massiver Einwanderung von Gastarbeitern aus Süditalien - füllten Berichte von "Ehrenmord" und Blutrache die Gazetten in Deutschland. Alles vergessen. In den letzten Jahrzehnten war die "Ehre" eher mit der Mafia verbunden, denn die Italiener waren lernfähig und hatten sich angepasst.
Die massive Rückkehr der "Ehre" kennen wir erst seit diversen archaischen Einflüssen, wo gelegentlich Massenprügeleien von muslimisch geprägten Sippen auf der Straße stattfinden oder auch mal ein Mördchen damit verbunden sein könnte. Dies als Selbstjustiz unter Zuhilfenahme von Hieb- und Stichwaffen, darunter sogar "Macheten", "Säbel" und Äxte. Alles Geschichten, die bei uns so seit vielen, vielen Jahren passé sind, weil wir diese primitiven Verhältnisse überwunden und uns weiterentwickelt haben.
1547 duellierten sich der Baron de Jarnac und François de Vivonne wegen einer Maitresse. Jarnac, eigentlich der Schwächere, gewann dank eines Schlages, dem "Coups de Jarnac", den er einem Raufbold abgeguckt hatte. Dieses war das letzte vom König gestattete Duell, denn es kamen ihm durch diesen Spaß doch zu viele Untertanen abhanden. Zwischen 1594 und 1610 sollen rund achttausend Adlige bzw. Offiziere Opfer dieses elitären Sports geworden sein. Eine einfache Beleidigung reichte, um Satisfaktion (Genugtuung) zu fordern.
Tatsächlich ging die Geschichte im Verborgenen weiter, sogar in letzter Zeit. Noch während Dritten Republik zwischen 1870 und 1940 gab es fortwährend Duelle. Interessant ist, dass der Ehrenkodex, der "Code de l`Honneur et du Duel", von 1914-18, erst zuletzt vom Gründer des Pariser Fechtverbandes, Georges Breittmayer, überarbeitet worden war, also grade nach dem Ersten Weltkrieg - Neuzeit, Moderne! Alles, vom Laden der Waffe bis zur angemessenen Kleidung, war genau festgelegt. Die Kontrahenten hatten üblicherweise die Wahl zwischen Degen, Florett und Säbel, Bajonett, Pistole und Revolver.
Nach dem Ehrenkodex werden daraufhin die Gegner platziert und der Fechtmeister ruft: "Bereit? Der Kampf kann beginnen". Der Angriff darf zwei bis fünf Minuten dauern. Bei einer Verletzung sind bis zu 15 Minuten Pause gestattet. In die Luft zu schießen und zu sprechen, ist verboten. Also schlichte, ritualisierte Selbstjustiz.
Letztbekanntes Duell in Deutschland
In Deutschland war das Duell seit 1871 mit tödlichen Waffen verboten, galt aber als Sondertatbestand mit geringerer Strafandrohung, so eine Art Ordnungswidrigkeit - sodass Duellanten entweder gar nicht belangt oder nur milde bestraft wurden. Erst bei der Strafrechtsreform 1969 gingen diese Paragraphen in den allgemeinen Strafvorschriften über gefährliche oder schwere Körperverletzung und Totschlag auf. Warum so spät? Weil es faktisch keine Duelle mehr gab.
Eines der letzten Duelle vor adeligem Publikum fand 1908 statt; der Herzog Karl Borwin zu Mecklenburg blieb auf der Strecke. In Österreich-Ungarn verbot Kaiser Karl I. 1917 das Duell endgültig. Unter den Nazis wurde das Verbot dieser Form der Selbstjustiz zeitweilig gelockert, aber als der Führer eines seiner Starreporter, Roland Strunk vom des Völkischen Beobachter nämlich, verlustig ging, führte das 1937 zu einem erneuten und sofortigen Verbot. Etwas anders also in Frankreich, das sehr viel mehr "aristokratische" Marotten hat, z.B. schon die Anrede "Monsieur" (Mon Sire), Siezen (vous) der Kinder in manchen hochbourgoisen Milieus usw. So schreibt Martine Chantrel, Leiterin des Centre Culturel Francais in Freiburg: "Für mich war das eine neue Welt, dass wir die Professoren in der Germanistik duzen durften (1968)". In ihrer Familie siezten die Kinder sogar die Eltern, wie in gutbürgerlichen Familien üblich. "Das mache ich bis heute. Ich könnte nicht anders. Trotzdem habe ich ein gutes Verhältnis zu meinem Vater (die Mutter ist verstorben). * Von Jacques Chirac, Ex-Präsident, ist bekannt, dass er sein Eheweib siezte. "Bernadette, kommen wir heute abend mal wieder zur Sache?" Das ist aber nicht so verrückt wie bei Axel Springer, der laut eines seiner Biographen vor der bösen Tat erst immer vor der Bettkante niederkniete. Erst dann konnten sie loslegen, wobei der Herr ja immer dabei war, sieht er doch alles. Ein unfrommer flotter Dreier.
Letztes Gefecht in Frankreich: Gaston Deferre
Der letzte bekannte Kampf in Frankreich, der unter diesen Bedingungen ausgetragen wurde, fand 1967 zwischen Gaston Deferre, Bürgermeister von Marseille, einem weithin bekannten Charakterkopf zu seiner Zeit, und dem Abgeordnetem René Ribière statt, der sich von Deferre bei einer Parlamentsdebatte beleidigt fühlte. Ribière forderte ihn heraus, Deferre nahm an. Vereinbart wurde ein Duell per Säbel, das nicht nur fotografiert wurde, sondern über das Gaumont auch in einem Wochenschaufilmchen berichtetete. Der Garten eines Privathauses in Neuilly, nahe Paris, war Schauplatz der tapferen Ehrenmänner. Schiedsrichter war ein M. de Libowski. Entscheidend sollte der erste Blutstropfen sein. Deferre gelang es, den Unterarm von Ribière zu touchieren, so dass Blut rann. Damit ging er als Gewinner aus dem Kampf hervor.
Man munkelt, Deferre sei im Triumpf davongaloppiert, wie es sich gehörte, während Ribière sich vor Gram in die Seine stürzte.
Fazit: Man könnte auch als Verlierer, seiner Ehre entblößt, ausscheiden. Lieber aber als Sieger hervorgehen, per toller Biorache nämlich. Was sonst?
---------------
* "Aus Liebe zur deutschen Sprache", Bad. Zeitg, 17. Juni 2017. Chantrel stammt aus Lyon, der "Seidenraupenstadt", deren Bürgertum als "feiner" als das von Paris gilt.